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Amerika-ner stellen die Meinungsfreiheit ganz augenscheinlich über alle anderen konstitutio-nellen Freiheiten. Es ist daher vielleicht nicht erstaunlich, daß das ge-druckte Wort (Bücher, Zeitschriften und Zeitungen) und das gesprochene Wort (Nachrichten und Reden) in der Öffentlichkeit großes Gewicht besitzen - von daher die ziemlich naive wenn nicht groteske Vorstellung, daß ein Amtsträger niemals über seine kleinen privaten sexuellen Sünden Lügen verbreiten dürfe. Ironischerwei-se (und vielleicht passend für ein kapitalistisches Land) hat George Washington, der erste Präsident der Vereinigten Staaten, niemals gesagt "Ich kann keine Lüge erzäh-len" wie die Volks-meinung glaubt: Diese freie Erfindung war das Werk von Parson Weems, einem Wanderbuchhändler des frühen 19. Jahrhunderts aus Phila-delphia, der diese Geschichte in einer Biographie Washingtons mitteilte. Vielleicht ist es auf solche Mythen wie die von Weems zurückzuführen, daß Präsident Clinton solch anspruchs-vollen moralischen Normen unterworfen wurde.
Zur Zeit gibt es in den USA große kulturelle Meinungsverschiedenheiten, nicht nur zwischen Konservativen von rechts außen oder religiösen Ideologen und liberalen Kulturrelativisten, sondern zwischen Durchschnittsbürgern, die sonst nach ihren äuße-ren Merkmalen ziemlich ähnlich erscheinen: nach sozialer Schicht, Einkommen, Bildungs-niveau und religiösem Hintergrund. Eine der Täuschungen, die uns durch unsere Verbrau-cherkul-tur eingehämmert wurde, ist, daß der Kauf dauerhafter Güter signifikante Ent-scheidungen für das ganze Leben darstelle, die wichtiger sind als der Inhalt intellektueller "Nahrung". Die Polarisierung von kulturellen, ethnischen, ideologischen und rassischen Randgruppen hat die Auffassung, daß die amerikani-sche Gesellschaft ein Schmelztiegel sei, Lügen gestraft. Die Amerikaner sind weit von kultureller Homoge-nität entfernt, ungeachtet der Allgegenwärtigkeit der McDonald's Läden. Vielmehr hat die Ausweitung der Gesetzgebung zum Schutz von Minderheitenrech-ten in der Nachbürgerrechtsära verschiedene komplexe Ebenen in den demo-krati-schen Diskurs eingebracht, den manche Akademiker mit dem Etikett "Politik der Identität" oder "Kriege der Kulturen" versehen haben. Unter diesen verschiedenen Identitäten ist vermutlich keine so kontrovers wie Homosexua-lität. Ein Bibliothekar, der sich auf die große soziale und moralische Befreiung beruft, die mit der Bürger-rechtsbewe-gung der späten 60er Jahre begann, nennt die krankhafte Abneigung gegen die Homosexualität "das letzte sozial akzeptierte Vorurteil". In der Tat, es ist die letzte Bastion gesetzlicher Diskriminierung in den Vereinigten Staa-ten (2).
Beispiele für kurze Zeitabschnitte, in denen Homosexualität toleriert wurde, lassen sich in beinahe jeder Kultur finden, wenn auch mit Schwierigkeit, aber schließlich sind beinahe alle Kulturen zur Verfolgung von Homosexuellen zurückgekehrt. In nahezu allen jüdischen-christlichen Kulturen herrschen Phallozentrismus und patriar-chalische Werte vor, während gleichgeschlechtliches Verhalten zwischen Frauen selten verurteilt oder auch nur erwähnt wird. Außerdem wurden rechtliche Unter-schiede zwischen aktiven und passiven männlichen Sexualpartnern gemacht, wobei die letzteren die strengeren rechtlichen Strafandrohungen und sozialen Sanktionen zu gewärtigen haben. In modernen christlichen Kulturen sind während verschiede-ner Epochen Homosexuelle von der Kirche als Sündenböcke mißbraucht worden, um Naturkatastrophen oder Unglücksfälle zu erklären. Sie wurden als Beispiel des morali-schen Verfalls angeführt, wenn eine größere politische Kontrolle über die Gesell-schaft angestrebt wurde oder auch bestraft, um für die Sünden der Ge-meinschaft zu "büßen". Im Mittelalter sind annähernd 1.000 Menschen wegen ihrer Homosexuali-tät zu Tode gebracht worden. Die Strafen bestanden in Auspeitschung, Vierteilung, Kastration, Aufhängen am männlichen Glied, Verbrennen am Pfahl oder in anderen Exekutionsmethoden (3). Die Kirche hat Homosexuellen niemals feierli-che Absolution von der Erbsünde durch heilige Sakramente wie die Ehe erteilt, weil homosexuelle Identität vermutlich ein verhältnismäßig modernes soziales Konstrukt ist. Als 1810 das französische Strafgesetzbuch homosexuelle Praktiken gänzlich aus den repressiven Gesetzen des ancien régime strich, schlossen sich dem unmittelbar andere Länder an. Großbritannien hat Homosexualität, die privat zwischen zustim-menden Erwachsenen ausgeübt wird, seit 1967 entkriminalisiert, wenn auch mit einer höheren Altersgrenze als für Heterosexuelle (4). Schließlich haben Homosexuelle in Europa seit 1981 zumindest theoretisch die Möglichkeit, an die europäischen Menschenrechtskonvention in Straßburg zu appellieren und mehrere Staaten, darunter bemerkenswerter Weise Kanada und Neuseeland, haben Schutzgesetze für Homosexuelle verabschiedet.
In den USA kann ein Gesetz durch richterliche Überprüfung geändert werden und Bundesrecht ist in Parteipolitik verstrickt. Nur 29 der 50 Bundesstaaten haben die überholten Paragraphen, die homosexuelle Akte als "Verbrechen gegen die Natur" (5) bezeichnen und die vom britischen Recht übernommen worden sind, entkriminali-siert und neugefaßt. So zum Beispiel ist in North Carolina and Georgia Sodomie - ein mehrdeutiges Wort semitischen Ursprungs, das manchmal euphemistisch für Analverkehr benutzt wird, manchmal auch für jede sexuelle Aktivität zwischen Angehörigen des gleichen Geschlechts - ein "Verbrechen gegen die Natur", obwohl der Tatbestand kaum verfolgt wird, wenn Personen unterschiedlichen Geschlechts betroffen sind. Seit 1986 hat der Oberste Gerichtshof den Standpunkt vertreten, daß homosexuelle Praktiken, die gegen Gesetze des Staates verstoßen und "Ver-brechen gegen die Natur" darstellen, keinen Anspruch auf den selben Schutz der Privat-sphäre haben wie heterosexuelle Akte von genau der gleichen Art. Was bei diesem Stand der Dinge so beleidigend ist, ist nicht so sehr die rechtliche Ungleich-heit zwischen Hetero-sexuellen und Homosexuellen, die alten Ursprungs ist, als die andauern-de An-nahme, daß die Gesamtpersönlichkeit irgendeines Menschen in den sexuellen Akten erfaßt werden kann, für die er sich entschieden hat.
Homosexualität in den USA wird weiters kompliziert durch die falsche Information, die Homosexualität mit Pädophilie in Verbindung bringt, obwohl Untersuchungen überzeugend zeigen, daß der sexuelle Mißbrauch von Minderjährigen für gewöhn-lich heterosexuell erfolgt. Ebenso ist in einigen Gegenden Sexualerziehung jegli-cher Art in der Schule verboten. Um gerecht zu sein, muß man zugeben, daß logische Widersprüchlichkeiten in den Gesetzen auch Heterosexuelle betreffen: Die Gesetze sehen in einigen Fällen strengere Strafen für die Übertretung von Bestim-mungen gegen sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz und im Hörsaal vor als für schweren physischen Mißbrauch in der Privatsphäre zu Hause. Das amerikanische Demokratie-Experiment hat zu verschiedenen Zeitpunkten seiner Geschichte bewie-sen, daß es vergeblich ist, die private Moral der Gesetzgebung zu unterwerfen. In jüngster Zeit ist es durch das Erstarken von Gruppen, denen früher bürgerliche Rechte abgespro-chen worden sind (Schwarze, Frauen, und in einigen Staaten Homosexuelle), durch eine revisionistische Geschichtsbetrachtung und durch eine Politik der Schikanierung zunehmend schwierig geworden zu unterscheiden, wessen Rechte gefährdet sind oder zwischen dem Unterdrücker und den Unterdrückten einen Unterschied zu machen..
Die moderne amerikanische Homosexuellenbewegung wurde am 17./18. Juni 1969 gegründet, als Schwule und Lesben beim Stonewall Inn in Greenwich Village in New York der Arrestierung Widerstand leisteten und aus Protest gegen die Schikanierung und gegen die Brutalität der Polizei randalierten, der sie durch Jahrzehnte hindurch ausgesetzt waren. Die Geburt der "Schwulen Nation" war ein Weckruf für ganz Amerika, daß Schwule und Lesben nicht länger die routinemäßigen Verfolgungen hinnehmen würden, denen sie in der Vergangenheit unterworfen waren. Dieses Ereignis traf mit einer großen Welle studentischer Rebellion gegen andere soziale Krankheitserscheinungen auf und gipfelte im Anti-Vietnam-Protest der Kent State Universität von 1972. Er bewirkte eine allgemeine Verminderung sexueller und moralischer Restriktionen in der Gesellschaft.
Israel Fishman erledigte 1970 die notwendigen Formalitäten, um innerhalb des SRRT der ALA einen Zusammenschluß der Homosexuellen zu erreichen. Dieser Zusam-menschluß wurde die erste Vereinigung von Homosexuellen eines Berufes auf der Welt. Heute, 28 Jahre danach, kennt man die Organisation als die Gay, Lesbian and Bisexual Task Force (GLBTF, oder einfach die Task Force). Innerhalb der ALA hat die Gruppe nie einen höheren Status als den einer Task Force erhalten, vermutlich weil sich der Prozeß der Befreiung im Beruf noch immer fortsetzt. Andere Gruppierun-gen wie z.B. der Zusammenschluß der Frauen haben jetzt den Status eines Standing Committee innerhalb der ALA und andere wie z.B. der Zusammenschluß der Schwar-zen, haben sich abgetrennt, um ihre eigenen Assoziationen zu bilden. Die politische Position als Task Force innerhalb der ALA garantiert große Flexibilität, entbehrt aber politischer Schlagkraft. Die Task Force hat bisher nur ein ein-ziges Programm mit einer anderen Interessengruppe, 1995 mit dem Library History Round Table, durchgeführt und die offizielle Einstellung der ALA zur Homo-sexualität war zu Zeiten zweideutig und widersprüchlich. Dazu ein Beispiel! Als 1970 Michael McConnell seine Stelle an der Bibliothek der Universität von Minnesota verlor, nachdem er und sein Partner Jack Baker erfolglos eine Heiratserlaubnis beantragt hatten, bat er die ALA um Hilfe und zog enttäuscht seine Ersuchen zurück, als der ALA Council nach 5 Jahren noch immer am Überlegen war. Andererseits hat die ALA 1971 eine Resolution zur Unterstützung der Homosexuellen verabschiedet und ab 1974 ein Diskriminierungsverbot in seine Richtlinien zur Beschäftigungspolitik aufgenommen. Ab 1986 hat die ALA auch das Sponsoring des Buchpreises für Homosexuelle in der Belletristik und Sachliteratur übernommen, der jährlich von der GLBTF verliehen wird. Während die Annäherungsversuche der ALA beruhigend wirken sollten, hat sie gleichzeitig die Diskus-sion von homosexuellen Themen von den allgemeinen Aus-sprachen in den Gene-ralversammlungen ferngehalten, was den paradoxen Effekt hatte, daß die Angele-genheiten der GLBTF auf den Status einer Interessengruppe zurückge-führt wurden (9).
Die Programme des GLBTF haben sich mit allen Themen beschäftigt, von Bildern von Homosexuellen im Film bis zur Zensur von Materialien über Homosexualität, damit sich jeder über seine eigene sexuelle Identität am Arbeitsplatz im klaren ist. Was aber noch wichtiger ist, die GLBTF und ihre Bibliographien von Literatur über Homo-sexualität - die ersten und für viele Jahre einzigen erhältlichen Bibliographien dieser Art - lenkten die Aufmerksamkeit der Verleger auf das wachsende Marktsegment der Homosexuellen. Wie lange Zeit hindurch die Vorsitzende der GLBTF, die Lesben-akti-vistin Barbara Gittings, bemerkte, waren die Aktivitäten von Schwulen und Lesben in Bibliotheken lebenswichtig, um "die Lügen in den Bibliotheken zu be-kämpfen", denn in der Privatheit des Lesens erforschten manche Homosexuelle erstmals ihre sexuelle Identität, auch wenn die American Psychiatric Association bis 1973 Homosexualität als eine "Krankheit" oder mentale Störung klassifizierte und es sowohl die literarische Konvention als auch die Verlagspraxis verlangte, daß homo-sexuelle Charaktere vor dem Romanende tragisch zu sterben hätten (10). In zahlreichen kleineren Bibliotheken erhielt man Romane wie The Well of Loneliness (1928), Quatrefoil von James Barr (1950) oder sogar Gore Vidal's The City and the Pillar (1948) nur durch den Bibliothekar auf ausdrückliche Anforderung. Vidal hebt hervor, daß er Hörspiele und Drehbücher für das Fernsehen zu schreiben begann, weil nach Erscheinen seines Homosexuellenromans kein Verleger mehr seine Werke drucken wollte (11).
Nur ca. 30 Titel von homosexuellen Autoren wurden von den tonangebenden Verlegern zwischen 1886 und 1969 publiziert, dafür aber operierte ein großer Markt für pornographische Schundliteratur für Schwule und Lesben im Unter-grund durch die Produktion kleiner oder privater Druckereien (12). Nach 1958 aber , nach-dem der Oberste Ge-richtshof entschieden hatte, daß das homophile Magazin ONE mit der Post verschickt werden dürfe, wurde die Veröffentlichung von homosexuellen Publika-tionen weni-ger begrenzt und weniger subversiv. 1964 entschied der Oberste Gerichtshof zugunsten des der Obszönität beschuldigten, sexuell zweideutigen Buches von William Bur-roughs The Naked Lunch, ein Titel, der bis dahin in Englisch nur durch eine Edition der Grove Press erhältlich war, die Amerikaner aus Paris eingeschmug-gelt hatten hatten. Dieser Fall schuf den Weg für eine größere Liberali-tät im Hinblick auf pornographische und nichtpornographische Literatur, Film und Kunst mit homose-xuellen Themen (13). Die GLBTF schätzte die Produktion der Schwu-len- und Lesben-verlage für 1995 auf 1200 Neuerscheinungen und sogar im "Bibel-Gürtel" der südli-chen Vereinigten Staaten eröffneten nationale Buchhandelsketten beeindru-kende Lesben- und Schwulenabteilungen.
Der Fortschritt für die Homosexuellen in bestimmten (hauptsächlich städtischen) Gebieten des Landes, das Erscheinen homosexueller Personen in Fernsehen, Komö-dien, im Film und bei Olympischen Sportereignissen, das Engagement zahlreicher neuer Teile der Gesellschaft für homosexuelle Belange seit der AIDS-Krise, die in den frühen 80er Jahren aufbrach, und der verstärkte Auftritt von erkennbar homosexu-ellen Menschen im Kongreß, in der Regierung, bei Firmen und in Holly-wood sind aber alle nur irreführende, oberflächliche Indikatoren einer äußerlichen Akzep-tanz. Diese Zwiespältigkeit ist erst jüngst im Bibliothekswesen der Vereinigten Staaten sichtbar geworden.
Der bibliothekarische Beruf steht hinsichtlich der Situation der Homosexuellen vor besonderen Problemen wegen des zahlenmäßigen Verhältnisses der Geschlechter. Neben Kran-ken-pflege, Sozialarbeit, Unterricht in der Grundschule und anderen zählt auch das Bibliothekswesen zu den über-wie-gend weiblich besetzten Berufen, da der Berufsstand in den Ver-einigten Staaten seit 1890 zu 78 bis 90% weiblich ist (14). Zusätzlich zu den Re-pressionen, denen hetero-sexu-elle männliche Bibliothekare ausge-setzt sind und die zur Herausbildung eines maskulinen Stereo-typs geführt haben, sehen sich homosexuelle Bibliothekare und ihre Arbeitge-ber oft gezwungen, homosexuelle Belange und homosexuelle Identität am Arbeits-platz zu verheimli-chen (15). Über 86% einer nationa-len Stichprobe männ-licher ALA-Mitglieder identifi-ziert das vorherr-schende männliche Stereotyp des Bibliothekars als homose-xuell und andere männ-liche Bibliothekare empfinden, daß eine große Anzahl männlicher Bibliothekare tatsächlich homosexuell ist. Diese Studie unter-stützt nicht die Behaup-tung, daß die meisten männlichen Bibliothekare homosexuell seien, und tatsäch-lich nähert sich die Stichprobenunter-suchung dem Anteil homosexuel-ler Männer in der Gesellschaft insgesamt, grobge-schätzt zwischen 8 und 12 % (16). Die logische An-nahme, daß eine große Zahl von Lesben das Berufsfeld besetzt, ist nie erfolgt, noch weniger ist sie untersucht worden, und stellt eine Parallele zu der Tatsache der, daß Frauen im Bibliotheks-wesen unberücksichtigt bleiben, sogar als eine verdächtige Minderheit.
Während der Ethikkodex der ALA strikte Neutralität im beruflichen Verhalten im Hinblick auf die Diskriminierung von Kunden und im Hinblick auf die Informa-tions-wün-sche von Kunden zu fordern scheint, legt der Augenschein nahe, daß viele Öffentli-che Bibliotheken verabsäumen, homosexuelle Literatur zu erwerben oder die da-zugehö-rige Information über AIDS bereitzustellen (17). Um ihre Beschäftigungs-verhältnisse nicht zu gefährden, haben in den vergangenen Jahren Bibliothekare zurückgesteckt, wenn sie kontroverse homosexuelle Literatur für Öffentliche Biblio-theken und gegenüber Schulbeiräten verteidigen sollten. Die allgemeine Verweige-rung des Berufsstands hinsichtlich der Bedeutung homosexueller Themen trat in ziemlich übler Weise 1992 zutage, als einige Mitglieder der ALA die nationale Fachzeitschrift American Libraries attackierten, weil eine Nummer ein Umschlag-photo mit Schwulen und Lesben zeigte, die bei der Gay Day-Parade in San Francisco mitmarschierten - eine Praxis, die seit 1970 bei Schwulen- und Lesben-Bibliotheken gang und gebe war, da die Jahrestagungen gewöhnlich auf den National Gay Pride Day im Juli fallen. Nur einige wenige Argumente, die vorgebracht wurden, um das Photo in den folgenden Monaten zu kritisieren, waren religiöser Natur, aber selbst jene Angriffe, die beruflich begründet waren, stützten sich auf den mißbräuchlich verwendeten Mythos von der bibliothekarischen "Neutralität", der der Literatur über das Auskunfts-interview entnommen ist - ein in jeder Hinsicht falsches Argument, da allein die Existenz des ALA Social Responsibilities Round Table jeden Anspruch auf Neutra-lität in Frage stellt (18). Einigermaßen unaufrichtig ignorierten diese Leute die postmo-derne Auffassung, daß allein schon die Behauptung von Neutralität einen be-stimmten Standpunkt signalisiert. Berufliche Neutralität ist auch als Argu-ment zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung benutzt worden, um Schwarzen in Jim Crow South Dienst-leistungen zu verweigern, bis die ALA 1964 rassisch getrennte Veranstal-tungen verbot.
Was den Stellenwert homosexueller Literatur in der Bibliothek betrifft, braucht nicht besonders erwähnt zu werden, daß die Werke lesbischer und schwuler Autoren einen zentralen Platz im Kanon zahlreicher Kulturen (und daher auch in der Biblio-thek) einnehmen, obwohl noch 1984 Extremisten wie die Verteidiger des Senators von North Carolina, Jesse Helms, vergeblich versuchten, die Bibliothek der Univer-sität von North Carolina in Chapel Hill von Werken Platos, Shakespeares, Walt Whitmans und Andre Gides zu säubern und verlangten, daß der Homosexualität verdächtige Universitätsangehörige entlassen würden.
Die gegenwärtige Speerspitze der Schwulen-Lesben-Kontroverse richtet sich auf die Jugendlichen (19). Die meistgefragten Bücher für Kinder und junge Erwachsene betrafen in der jüngsten Vergangenheit alle homosexuelle Themen: Die lesbische Schwärme-rei einer jungen Erwachsenen (Annie on My Mind, 1982) und Kinder homosexueller Eltern (Daddy's Roommate, 1990; Heather Has Two Mommies, 1989) weisen nicht nur auf die Brisanz des Themas Homosexualität in Umfeldern hin, wo Minder-jährige und ihre Eltern vorherrschen, sondern auch auf die Verweigerungs-haltung lautstarker Minderhei-ten von US-Bürgern, eine positive Darstellung homose-xueller Charaktere zuzulas-sen (20). Während das Office of Intellectual Freedom des nationalen Verbandes den Mit-gliedern regelmäßig und rechtzeitig solche Fälle berichtet hat, sind die aus-führenden Hände der Vereinigung wegen Befangenheit gebunden, weil die Organi-sation ihre Steuerfreiheit verliert, wenn sie in irgendeinem Falle Partei ist.
Auch die Zunahme der Veröffentlichungen auf homosexuellem Gebiet war ein wichti-ger Beitrag zur Unterstützung von Schwulen- und Lesben-Beständen. Mehrere große Universitäten haben Programme für Schwulen- und Lesben-Studien eingerich-tet oder sind dabei, sie zu institutionalisieren, insbesondere an der Universität von Los Angeles, wo die "One, Inc./International Gay and Lesbian Archives"-Sammlung untergebracht ist, und an der Cornell University, die die Mariposa Collection on Human Sexuality beherbergt. Ebenso bemerkenswert sind Sammlungen Öffentlicher Bibliotheken wie die James C. Hormel Gay and Lesbian Center Collection der San Francisco Public Library, und Graswurzelarchive und -sammlungen wie die Lesbian Herstory Archives in New York City und die Gebner-Hart Library in Chicago. Die GLBTF hat im Internet ein Diskussionsforum eingerichtet, Gay-Libn, das interessante Nach-richten an die Subskribenten weiterleitet. Aus den Anfragen an diese Liste ist jüngst von schwulen, lesbischen und bisexuellen Bibliothekaren und von Leuten, die sie unter-stützen, eine Sammlung von Texten zusammengestellt worden, und ein Sam-mel-band mit bibliothekshistorischen Beiträgen zum Thema Homosexualität ist letzten Monat mit multidisziplinären Beiträgen aus verschiedenen Ländern ver-öffentlicht worden (22). Im Internet wird eine Liste homosexueller Wissenschaftler, die aus über 700 Sub-skribenten besteht, von einem Veteranen der homosexuellen Bewe-gung, Louie Crew, an der Rutgers University betreut. Darüberhinaus sind homose-xuelle Charak-tere und Themen regelmäßig features während der Hauptein-schaltzei-ten des Fernsehens. Jedoch sind homosexuelle Sammlungen in kleinen und mittel-großen Öffentlichen Bibliotheken unterrepräsentiert, wenn sie überhaupt existieren. Gründe dafür sind die konservative Einstellung zahlreicher Landkreise und kommunaler Behör-den, finanziel-le Kürzungen und das Fehlen einer ständigen Forschung und Be-achtung homosexu-eller Belange im Bibliothekswesen.
Die Energien, über die die GLBTF verfügte, sind in der Vergangenheit eingesetzt worden für die Verteidigung homosexueller Belange, für Öffentlichkeitsarbeit, zur Selbstunterhal-tung und für Nöte der Betroffenen, aber kaum für Forschung. For-schung vom Belang über Bedürfnisse von homosexuellen Kunden und homosexuel-len Bibliothekaren tendiert praktisch gegen Null (23). Die Lücke in der Homosexuellen-for-schung im Biblio-thekswesen ist in bestimmten Informationsbereichen verständli-cher als in anderen. Bibliothekare in Spezialbibliotheken haben wenig Anlaß, solche Unter-suchungen anzustellen, wenn sie nicht direkt Bezug zu den Forschungs- und Entwicklungs-prioritäten ihrer Organisation, zu Rechtsfällen oder Gesundheitsthemen haben. Im Umfeld konkurrierender Firmen arbeiten Spezialbibliothekare unter den Ein-schrän-kungen, die die Vertraulichkeit gebietet. Die Freiheit des Zugangs zu Informationen betrifft nur dazu autorisierte Beschäftigte. Anders ausgedrückt sind Studien mit ausschließ-lich biblio-thekarischen Themen in einem solchen Umfeld nicht geeignet, weil die Funktion des Bibliothekars im wesentlichen eine zuarbeitende ist und seine Situation oft wirt-schaftlich instabil. Akademische Bibliotheksforschung bezieht sich ihrer Natur nach auf Management - oder technische Probleme, ver-mutlich weil sich die Funktion des Bibliothekars im wesentlichen auf die Unter-stützung oder Ergän-zung der zentralen Aufgaben in Forschung und Lehre der Fakultät bezieht. Für die Angehörigen der Fakultät hat sie keine in die Augen springende Bedeutung, wenn sie sich selbst thematisiert. In Öffentlichen Biblio-theken und ebenso in Bibliotheken anderen Typs sind soziale Themen zur Zeit durch Informationstechnologie und das Internet überlagert, die, und das ist richtig, eine alternative Möglichkeit bieten, die Informa-tionsbedürfnisse über homosexuelle Fragen zu befriedigen, vorausgesetzt daß Zensur des Internets in Öffentlichen Bibliotheken zurückgewiesen werden kann. Obwohl die Diskussion über die Homo-sexualität in den maßgeblichen Medien banal geworden ist, kann sie augenschein-lich nicht so leicht in der Literatur für den Medienspeziali-sten in Schulen oder für die Kinderbibliothekarin behandelt werden, ausgenommen im urbanen Zentren, wo Experimente mit breiten und unterschiedli-chen Bevölke-rungsschichten Ermutigung finden. Außerdem können Vorkämpfer für homosexuelle Themen in Schulen kaum Fortschritte machen, weil die Bedrohung ihrer Arbeits-plätze ganz real ist und die Voraussetzungen, die Forschung jeglicher Art begün-stigen könnten, praktisch nicht gegeben sind. In North Carolina zögern Spezialisten für Schulmedien, Informatio-nen über AIDS in Schulmedienzentren vor-zuhal-ten, weil die Krankheit fälschlicher-weise mit Homosexualität in Verbindung gebracht worden ist und ihre Stellen in die politische Diskussion geraten sind. Eine Umfrage aus dem Jahre 1993 hat ergeben, daß 52 % der Amerikaner dagegen sind, daß in Schulen über Schwulen- oder Lesbenprobleme informiert wird. Eine Studie aus South Carolina berichtet, daß acht von zehn zukünftigen Lehrern und zwei Drittel der Schulberater eine negative Einstellung gegenüber Homosexualität, Lesben und Schwulen, hat, und das ange-sichts der Tatsache, daß homosexuelle Teenager zwei- bis dreimal so stark selbst-mordgefährdet sind. Außerdem sind 26 % homosexueller Teenager gezwungen, ihr Zuhause wegen Komplikationen zu ver-lassen, die sich aus ihrer Homosexualität ergeben (24).
Der einzige Bereich, der in einem logischen Zusammenhang mit Forschung steht, sind die Bibliotheksschulen, doch hat eine Befragung von Absolventen der Biblio-theksschulen bundesweit für 1995 ergeben, daß beinahe die Hälfte von ihnen in ihren Studienprogrammen keinerlei Informationen über homosexuelle Themen erhalten haben. (25) Es ist auch augenscheinlich, daß Fakultäten für bibliothekarische Ausbildung, die sich auf dem Weg der offiziellen Anerkennung befinden, sich genötigt sehen, nicht mit Homose-xuellenforschung in Verbindung gebracht zu werden, bevor sie ihre Bestandsgaran-tie erhalten haben, und daß Bibliotheksschulen darauf achten, daß ihre Graduierten sich auf prestigeträchtigeren Gebieten wie Informationswissenschaft, Softwarean-wendungen usw. profilieren, oder bei der Diffe-ren-zierung der Theorie anderer Gebiete oder ihrer Anwendungen. Ähnlich werden Teilnehmer an Doktoratsstudien gemahnt, nicht als Forscher für homosexu-elle Proble-me abgestempelt zu werden, da dies ihre Arbeitsmarktchancen bein-trächtigen könnte.