Congress theme: “Future Libraries: Infinite Possibilities”

Eröffnungsrede der IFLA-Präsidentin Ingrid Parent

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Ingrid Parent

Bibliotheken in der Zukunft: Unbegrenzte Möglichkeiten

Sehr geehrter Yaacob Ibrahim, sehr geehrte Botschafterin Chan Heng Chee, sehr geehrte Frau Elaine Ng, sehr verehrte Ehrengäste, sehr geehrte Mitglieder des nationalen Organisationskomitees, liebe Kongressteilnehmer - ich schließe mich meinen Kollegen an und begrüße Sie herzlich zur jährlichen IFLA Konferenz.

Es ist wunderbar, zurück in Singapur zu sein. Wie Dr. Ibrahim es in seinem Grußwort zum Kongress so eloquent formuliert: Singapur ist eine kleine Nation, in der Ost und West aufeinander treffen, wo Tradition und Moderne gleichberechtigt existieren und wo Menschen unterschiedlicher Rassen und Religionen gemeinsam in Harmonie leben. Diese Beschreibung ist sehr treffend, wenn ich an meine Besuche bei IFLA-Mitgliedern und BibliothekarInnen auf der ganzen Welt denke. IFLA-Mitglieder und BibliothekarInnen, die mit NutzerInnen und KundInnen aus allen Gesellschaftsschichten, Kulturen und Religionen zusammenarbeiten, um ihnen effizient und einfühlsam Zugang zu Informationen und Know-how zu ermöglichen.

Wie Sie sich vorstellen können, habe ich als Präsidentin der IFLA viele Festreden gehalten und bin unzählige Male von den lokalen Medienvertretern interviewt worden. Man hat mich schon als vieles bezeichnet, unter anderem als die "Queen der Bibliothekare", und sgoar als der "Päpstin der Bibliothekare"!

Aber - nicht einmal an meinen besten Tagen habe ich mich wie eine Königin oder Päpstin gefühlt! Aber ich kann Ihnen sagen, dass es mir insgeheim gefallen hat, als The Straits Times mich während meines ersten Besuchs in Singapur im vergangenen März als "Kreuzzüglerin für Bibliotheken" bezeichnete. Das ist ein Etikett, mit dem ich leben kann!

Denn so habe ich meine Rolle gesehen. Eine deutlich sichtbare und aktive Förderin und Vorkämpferin für Bibliotheken zu sein. Für Bibliotheken und die Arbeit, die diese so gut für das Gemeinwesen auf der ganzen Welt verrichten.

Zu diesem Zweck habe ich meine Aktivitäten im vergangenen Jahr besonders auf die IFLA-Regionen konzentriert . Ich bin nach Südafrika, Chile und Argentinien, Australien, Malaysia und Singapur gefahren, und erst im vergangenen Monat war ich in Brasilien und China. Alles waren hervorragende Veranstaltungsorte, um Fragen von gegenseitigem Interesse zu erörtern und zukünftige gemeinsame Aktivitäten zu planen.

Und natürlich habe ich mich mit vielen Bibliotheksverbänden und KollegInnen in Europa und Nordamerika getroffen.

Da ich selbst aus Kanada komme, hatte ich mich entschlossen, die Präsidialsitzungen auf dem amerikanischen Kontinent abzuhalten. Das Thema dieses Jahres in Mexico City war Unsere digitale Zukunft. Dort thematisierten wir die Auswirkungen der digitalen Entwicklungen und, wie Bibliotheken dem Gemeinwesen am besten dienen könnten. Unsere Gespräche waren breit gefächert und umfassten natürlich so wichtige Schlüsselthemen wie gerechten und umfassenden Zugang zu Informationen sowie Ausnahmen und Schranken im Urheberrecht.

Natürlich sind zwei Jahre keine lange Zeit, um das zu vollbringen, von dem ich hoffte, es erreichen zu können, als ich den Job annahm. Als ich mein Präsidentschaftsmotto wählte - Bibliotheken: Triebkräfte für Wandel - mit seinen Grundsätzen Inklusion, Transformation, Zusammenarbeit und Konvergenz, konnte ich nicht abschätzen, welche Reaktionen dies hervorrufen würde. Ich hoffte und glaubte, dass es ein Thema ist, dass sich vor meinen Augen ganz real auf der globalen Bibliotheksbühne abspielen werde. Es ist jedoch schwierig, Erfolg quantifizierbar zu messen.

Aber eins kann ich Ihnen sagen  ohne Angst vor einem Widerspruch. Während wir uns über unsere sprachlichen und kulturellen Unterschiede freuen können und sollten, sollten wir uns gleichzeitig und gleichermaßen über die Gemeinsamkeiten freuen, die wir bei unserer Arbeit in dem von uns gewählten Beruf teilen. Es spielt keine Rolle, welche Art oder Größe von Bibliothek, noch, ob sie sich in einem Entwicklungs-oder Industrieland befindet. Wir alle haben ähnliche berufliche Werte gemein und wollen Zugang zu soviel Information wie möglich schaffen - für so viele Nutzer wie möglich. Es sind diese Gemeinsamkeiten, die uns zusammenhalten.

Die Bibliotheken, die ich das Privileg hatte, zu besuchen, waren so unterschiedlich in ihrer physischen Größe und Struktur, aber so ähnlich in dem, was sie erreichen wollen. Zwei Beispiele kommen mir in den Sinn.

In Brisbane, Australien, bietet die State Library of Queensland einen einzigartigen Service an. Er wird The Edge genannt. Sein Ziel ist es, jungen Menschen die Möglichkeit zu geben und sie dazu zu inspirieren, ihre Kreativität im gesamten Spektrum der Künste und Wissenschaften einzubringen. In Brisbane nutzt man die neuesten Technologien auf innovative Art und Weise, um Jugendliche für die Chancen ihrer Zukunft zu begeistern.

Dann, als ich im September in Südafrika auf dem African Public Libraries Summit war, gab es dort eine junge Bibliothekarin aus Botswana, die berichtete, dass ihre Bibliothek Kurse für Frauen anbietet, damit diese Handwerk und andere praktische Fähigkeiten erlernen können. Und eine der Frauen, die von diesem Service Gebrauch machte, sagte der jungen Bibliothekarin, wie sich ihr Selbstwertgefühl wegen des Kurses verbessert hatte, und dass sie das Gefühl hätte, nun einen positiven Beitrag für ihrer Gemeinschaft leisten zu können.

Interessant, nicht wahr? Zwei sehr unterschiedliche Bibliotheken: Eine ultra-modern, die andere kleiner und nicht unbedingt auf dem neuesten Stand, was Technologie betrifft. Und trotzdem hatten die BibliothekarInnen in beiden Einrichtungen den gleichen Ansatz und ähnliche Ergebnisse, wenn es darum geht, einzigartige Dienstleistungen für ihre NutzerInnen und deren Gemeinden bereitzustellen.

Wenn ich mich entscheiden müsste, welcher meiner Besuche das beste Beispiel dafür ist, wie die IFLA und Bibliotheken eine unglaubliche katalytische Antriebskraft für Veränderung sein können, dann wäre es mein Besuch kürzlich in Katar. Ich war dort im November letzten Jahres, um mich mit dem AFLI   der arabischen Föderation von Bibliotheken und Informationsstellen, zu treffen. Nie zuvor war eine IFLA-Präsidentin eingeladen worden, um mit der AFLI zu sprechen und ich wurde gefragt, "warum die IFLA dort noch nie eine Konferenz abgehalten hat". Und ich antwortete, dass wir noch nie gefragt worden waren! So entschieden wir uns zusammen, diese Situation zu bereinigen, indem wir eine regionale IFLA-Konferenz in Doha veranstalteten.

Und das ist genau das, was im Juni dieses Jahres stattfand. Es war eine ziemlich erstaunliche Tagung mit hervorragenden Präsenationen aus der Region. Man hat mir gesagt, dass es leidenschaftliche Diskussion und Debatten gab. Es ist gerade diese Art von Leidenschaft, die IFLA-Veranstaltungen erzeugen können, und das ist unglaublich befriedigend, weil die Leidenschaft es in der Mehrheit der Fälle bis zurück zu den heimischen Einrichtungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer schafft.

Auf die Konferenz folgte der zweitägige Workshop zum Thema Aufbau starker bibliothekarischen Verbände, der von VertreterInnen aus 15 Ländern besucht wurde.

Es hat mich sehr gefreut zu hören, dass die TeilnehmerInnen großes Interesses zeigten, zukünftig in gemeinsamen Projekten zusammenzuarbeiten. Die Region ist so groß, vielfältig und wichtig, und wir freuen uns sehr, sie als Partner zu haben, um uns über globale bibliothekarische Themen auszutauschen, die uns alle betreffen.

Wenn ich an die Erfahrungen mit der AFLI einerseits und an eines der tragenden Prinzipien meines Mottos  Konvergenz  andererseits denke, wird mir klar, dass es um viel mehr geht als darum immer kompatibler werdende Technologien zu teilen. Es geht um die Konvergenz von Ideen, um Meinungsaustausch und um die Bündelung kollektiven Wissens und kollektiver Erfahrung.

In diesem Kontext wurde ich kürzlich auf die Arbeit des renommierten singhalesischen Akademikers und Autors Kishore Mahbubani aufmerksam. In seinem Buch "The Great Convergence:
Asia, The West, and the Logic of One World"
, argumentiert er sehr überzeugend, dass "nie zuvor in der Geschichte die Menschheit so sehr miteinander verbunden und voneinander abhängig war." Wirtschaftlich, sozial und auch politisch. Er stellt fest, dass der Aufschwung der globalen Mittelschicht eine beispiellose Konvergenz von Interessen, Wahrnehmungen, Kulturen und Wertvorstellungen mit sich bringt.

In unserer Welt betrachten es Bibliotheken sicherlich als unvermeidbar und wertvoll, eine vergleichbare Konvergenz von Haltungen, Wertvorstellungen und Standards voranzutreiben.
Aber natürlich geschieht Konvergenz nicht in einem Vakuum. Sie benötigt die aktive Teilhabe derjenigen, die sie vorantreiben können, und derjenigen, die von ihr profitieren. Im Fall der erstgenannten wird es für Bibliotheksverbände und -organisationen immer wichtiger, sich in gemeinsamen Foren unterschiedlicher Interessenvertreter zu beteiligen und nicht-traditionelle Allianzen zu entwickeln. Nur gemeinsam werden unsere Stimmen gehört (einschließlich der Notwendigkeit, mit einer Stimme zu sprechen), insbesondere auf der internationalen Bühne.

Das ist genau der Kontext, in dem die IFLA durch ihre Lobbyarbeit eng mit Bibliotheksverbänden zusammenarbeitet.

Urheberrechtsschutz und -schranken oder die E-Ausleihe sind nur zwei Beispiele, die mir in den Sinn kommen, wenn es darum geht, gemeinsam Position zu beziehen. Unser proaktiver Ansatz - Lobbyarbeit für Urheberrechtsschranken für Bibliotheken durch internationale Verhandlungen - war von entscheidender Bedeutung. Wir haben uns sehr gefreut, dass der Visually Impaired Persons Treaty kürzlich in Marokko durch die nationalen Delegationen der World Intellectual Property Organization unterzeichnet wurde.

Natürlich ist ein Thema wie Urheberrechtsschutz nur eines unter vielen, die Einfluss darauf haben, wie wir effektive Dienstleistungen für unsere NutzerInnen erbringen können. Es ist wichtiger denn je, dass wir uns der sich ständig verändernden Umwelt bewusst bleiben, in der Bibliotheken in den kommenden Jahren arbeiten werden.

Deshalb hat die IFLA den Trend Report, initiiert, der bei der morgigen Plenarsitzung um 8:30 Uhr bekanntgegeben wird. In dem Bericht geht es nicht darum, wie Bibliotheken in einem Jahrzehnt aussehen werden, sondern vielmehr darum, wie die Gesellschaft um Bibliotheken aussehen wird - und wie Bibliotheken darauf reagieren können, um die sich verändernden Bedürfnisse ihrer NutzerInnen bestmöglich befriedigen zu können.

Da es in der Natur von Technologie liegt, sich rasant zu verändern, wird es keinen Abschlussbericht geben. Der Bericht ist eher als ein lebendiges Hilfsmittel zu betrachten, das sich im Laufe der Zeit entwickeln wird. Und natürlich wird er online verfügbar sein und in den nächsten Jahren andauernde Diskussionen und Debatten ermöglichen.

Ich habe in meiner Rede mehrfach die multikulturelle und multilinguale Welt erwähnt, in der wir leben. Deshalb möchte ich abschließend erläutern, was die IFLA tut, um sprachliche Grenzen zu überwinden, die eine aus aller Welt kommende Mitgliederschaft entzweien können.

Wir arbeiten kontinuierlich daran, die Zahl der Standards, Richtlinien und anderer Dokumente, die in allen sieben offiziellen IFLA-Sprachen erhätlich sind, zu erhöhen. Auf ähnliche Weise entwickeln wir unsere mehrsprachigen Webseiten weiter. Ich habe mich sehr gefreut, den Start unserer spanischen Webseite im Februar dieses Jahres verkünden zu können, und den der französischen im Juli. Die anderen Sprachen werden folgen. Da ich selbst aus einem zweisprachigen Land komme, habe ich mich diesem Projekt in den vergangenen zwei Jahren ausgesprochen verpflichtet gefühlt. Und weiß, dass andere Vorstandsmitglieder sich dieser Mission gleichermaßen widmen, so wie wir vorankommen.

Kolleginnen und Kollegen, wir leben in turbulenten, spannenden und manchmal beängstigenden Zeiten. Niemand kann die Zukunft mit Sicherheit vorhersagen. Aber ich bin überzeugt, dass Bibliotheken eine zentrale Rolle in ihr spielen werden. In der Tat hatten Bibliotheken und BibliothekarInnen noch nie zuvor eine vergleichbare Schlüsselposition darin, ihren NutzerInnen dabei zu helfen und sie darin anzuleiten, ein besseres und reicheres Leben zu führen.

Natürlich kann jede Generation von sich sagen, in einer besonderen Zeit gelebt zu haben - aber es ist trotzdem schwer, sich eine noch interessantere Zeit für uns BibliothekarInnen vorzustellen. Wie es das Thema unserer Konferenz ausdrückt, handelt es sich um eine Zeit unbegrenzter Möglichkeiten. 

Einige dieser Möglichkeiten werden in den kommenden Tagen auf diesem Kongress diskutiert werden. Sie haben ein volles Programm. Ob dies nun Ihre erste oder zehnte oder wer weiß wievielte Konferenz ist, ich weiß, dass Sie müde nach Hause fahren werden, aber auch inspiriert durch die Ideen, die Sie geteilt haben, die neuen Freundschaften, die Sie geknüpft haben, und durch die Begeisterung für eine Gruppe gleichgesinnter TeilnehmerInnen, die ihre Arbeit lieben und sie noch besser machen möchten.

Vielen Dank. Ich wünsche Ihnen eine großartige Konferenz.

Ingrid Parent
IFLA-Präsidentin 2011-2013